Kleine Veränderung, große Wirkung
Wir glauben, Agilität ist kein Trend, sondern die logische Ableitung aus einer veränderten Arbeitswelt, in deren Fokus die Wissensarbeit steht. Der Bedarf für eine agile Transformation wird somit umso drängender. Anhand von drei Ansätzen wollen wir zeigen, wie der Einstieg in agiles Arbeiten gelingen kann.
„Agiles Management – wer überleben will, sollte auf Veränderung setzen“ empfahl das Handelsblatt vor Kurzem. Als Wundermittel gefeiert, zieht Agilität aktuell branchenübergreifend durch viele Vorstandsetagen. Dabei ist Agilität mehr als nur ein Trend, sondern vielmehr eine Antwort auf eine sich verändernde Arbeitswelt. Mit Computer, Internet und Co. wurde spätestens seit den 1990er Jahren ein tiefgreifender Wandel in der Wirtschaft eingeläutet.
Die Verschiebung von industrieller Arbeit zu Wissensarbeit wirft unter anderem die Frage auf, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, um das implizite Wissen von Angestellten bestmöglich für Unternehmen zu nutzen. Kürzere Produktzyklen und dynamische Marktbedingungen fordern herkömmliche Arbeitsweisen, geprägt durch lange Planungszyklen, starre Hierarchien und autoritäre Führung, zusätzlich heraus. Besonders früh wurde dies in der Softwareentwicklung sichtbar: die Entwicklung von Software ist Wissensarbeit in Reinform, gleichzeitig ändert sich das Umfeld hier besonders schnell. Die Antwort war 2001 ein Manifest von agilen Werten und Prinzipien.
Agile Prinzipien als Basis
Das sogenannte agile Manifest benennt auf Basis von vier zentralen Werten 12 Prinzipien, die agiles Arbeiten prägen.
Die Prinzipien des agilen Manifests sind auch die konzeptionelle Grundlage für agile Methoden wie Scrum, Design Thinking und Co.: Reflexion und Feedback (Nr. 12) finden sich im Scrum in den Reviews und den Retrospektiven wieder, die häufige Lieferung von Ergebnissen (Nr. 3) wird im Design Thinking über das Prototyping abgebildet. Auch neonfarbene Post-Its an den Wänden, Sitzsäcke in der Lounge und die Abschaffung von Hierarchiestufen können Ausdruck der agilen Prinzipien sein. Die Face-to-Face-Konversation (Nr. 6) fällt ggf. im Sitzsack leichter als am Schreibtisch. Bunte Post-Its schaffen einfach und pragmatisch (Nr. 10) einen Überblick über aktuelle Diskussions- und Arbeitsstände und die Abkehr von Hierarchiestufen resultiert aus selbstorganisierten Teams (Nr. 11). Per se machen all diese Maßnahmen jedoch keine Organisation zu einer agilen Organisation, denn Agilität ist in erster Linie ein Mindset.
Wie wird eine Organisation agil?
In immer dynamischeren Umfeldern hat sich der Bedarf für agile Arbeitsweisen fast 20 Jahre nach der Veröffentlichung des agilen Manifests noch verstärkt und geht über die reine Softwareentwicklung hinaus. Heute soll die gesamte Organisation agil arbeiten, um dem stärker werdenden Fokus auf Wissensarbeit gerecht zu werden. Bevor der Versuch unternommen wird, die gesamte Organisation mit einem Schlag auf „agil“ umzustellen, macht es mehr Sinn, auch den Transformationsprozess agil zu gestalten und sich dem komplexen Problem „agile Organisation“ iterativ zu nähern.
Konkret haben wir gute Erfahrung damit gemacht, in einem ersten Schritt im Arbeitsalltag oder in der Projektarbeit agile Prinzipien auszuprobieren. Vorteil des sanften Einstiegs in Agilität ist die Gewinnung von wertvollen Multiplikatoren für agiles Arbeiten und es wird transparent, welche Voraussetzungen in der Organisation geschaffen werden müssen, damit agiles Arbeiten gelingen kann. Gleichzeitig werden Unternehmen mit einer schrittweisen Einführung nicht direkt überfordert – sie können zunächst herausfinden, welche Ansätze und Methoden sich im konkreten Unternehmensumfeld als hilfreich erweisen und welche nicht. Im Folgenden wollen wir anhand von drei Ansätzen zeigen, wie ein Start in agiles Arbeiten gelingen kann.
Mehr Kundenzentrierung
Ein zentrales Prinzip im agilen Arbeiten ist die konsequente Ausrichtung auf den Kunden – nur so kann sichergestellt werden, dass das entwickelte Produkt auch zu einem wirtschaftlichen Erfolg wird. Selbst mit guten Vorsätzen passiert es dennoch leicht, dass die Interessen des Kunden im Verlauf der Projektarbeit immer stärker in den Hintergrund treten und die eigenen Denkmuster dominieren.
Für mehr Kundenzentrierung kann sich das Projektteam mit der Bildung von Personas helfen, einem Element, das auch im Design Thinking zur Anwendung kommt. Personas sind fiktive Kunden, die stellvertretend für verschiedene Kundentypen stehen. Zunächst sind die Personas genau zu beschreiben: Was macht diese Person aus? Worum geht es ihr? Was beschäftigt sie? So wird aus „dem Kunden“ die anspruchsvolle Alleinerziehende Annika, der rüstige Rentner Rolf und die lebhafte Lehramtsstudentin Leonie. Weil Personas greifbarer sind als „der Kunde“, konzentriert sich das Team auf das Wesentliche: Wie kann für Annika, Rolf und Leonie ein echter Mehrwert geschaffen werden?
Mehr Zusammenarbeit
Die Bearbeitung von Themen, die die Einbindung mehrerer Abteilungen erfordern, kostet erfahrungsgemäß viel Zeit. Dies liegt oftmals nicht an der außerordentlichen Schwierigkeit des Problems, sondern vielmehr an der etablierten Vorgehensweise. Nicht enden wollende E-Mail-Konversationen führen dazu, dass selbst an kleineren Themen über Wochen ohne Lösung gearbeitet wird.
Hier ist es hilfreich, dem agilen Prinzip Nummer 6 zu folgen und einen Präsenztermin zu organisieren – und damit meinen wir kein Meeting, bei dem sich die Parteien kurz abstimmen und danach abermals ohne Lösung auseinander gehen. Der Organisator sollte stattdessen alle Parteien darum bitten, ihre Laptops mitzubringen. Im Termin nimmt sich die Gruppe Zeit, um gemeinsam an der Lösung zu arbeiten. Diese Vorgehensweise klingt simpel, unsere Erfahrung zeigt allerdings, dass dies für die meisten Abteilungen absolutes Neuland ist. Trotz aller anfänglicher Bedenken sind Teilnehmer stets erstaunt, wie viel sich so in kurzer Zeit erreichen lässt.
Mehr Kommunikation
Aus der engen und häufig crossfunktionalen Zusammenarbeit bei komplexen Fragestellungen entsteht der Bedarf für mehr und bessere Kommunikation. Unter besserer Kommunikation verstehen wir „häufiger“, „zielgerichteter“ und „von allen“. Eine Möglichkeit könnte sein, das tägliche Treffen an der Kaffeemaschine zu einem Stand-up zu machen. Im Stand-up berichten alle Teammitglieder kurz, was im Tagesverlauf ansteht und woran sie arbeiten werden. Alle im Team fühlen sich zum aktuellen Projektgeschehen abgeholt und Abhängigkeiten, Stolpersteine und Missverständnisse werden frühzeitig transparent und können im Nachgang fokussiert adressiert werden. Nimmt man das Stand-up beim Wort, besteht auch keine Gefahr, aus der kurzen Abstimmung beim Kaffee einen ausführlichen Kaffeeklatsch zu machen.
Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass es oftmals nicht schwer ist, agile Ansätze in die eigene Projektarbeit zu integrieren. Trotzdem brauchen die Mitarbeiter und Teams Unterstützung: Auf der einen Seite durch die Führungskraft, die ermutigt und gleichzeitig Möglichkeiten schafft, neue Arbeitsweisen auszuprobieren. Auf der anderen Seite brauchen sie professionelle Unterstützung, zum Beispiel durch einen Agile Coach, der mit seiner Methodenkenntnis dabei hilft, Sicherheit zu gewinnen und zu verhindern, in bekannte Verhaltensmuster zurückzufallen. Bringen die Mitarbeiter selbst eine hohe Veränderungsbereitschaft mit, kann das Team noch fokussierter mit den neuen Methoden arbeiten und muss keine Ressourcen aufwenden, um Widerständler ins Boot zu holen.