Bei Data Mining aus der kleinen Not eine große Tugend machen
„Daten sind das neue Öl“, titelte im Mai dieses Jahres der „Economist“. Banken mit ihren umfangreichen Kundendaten sitzen demnach auf riesigen Schätzen. Und Data Mining soll ihnen Zugang dazu verschaffen. Ein behutsames Erschließen dieser Quellen ist ratsam, um „Blow-Outs“ zu vermeiden.
Big Data Analytics – die systematische Durchleuchtung großer Datenbestände mit statistischen Methoden – ist nichts Neues im Banking. Bei den Risikomanagern der Banken und Sparkassen etwa ist das Verfahren schon lange etabliert, um Ausfallwahrscheinlichkeiten und andere Risiken präziser zu ermitteln.
Zunehmend rückt aber vertriebliches Data Mining in den Fokus vieler Institute. Kaum noch eine Bank, die nicht beabsichtigt, ihre Datenberge so zu durchwühlen, dass bisher unbekanntes, nicht einmal geahntes Wissen zutage tritt. Neue Erkenntnisse über Bedürfnisse, die kundenindividuell zu einem passenden vertrieblichen Angebot genutzt werden sollen. Überall. In Echtzeit.
Die Verlockung einer solchen „digitalen Ökonomie“ ist verständlich, nicht zuletzt weil die Datentöpfe der Banken tatsächlich riesig sind. Sie wissen (potenziell) wofür die Deutschen ihr Geld ausgeben, wann und wo sie das tun. Mit diesem Wissen kann dem Kunden noch vor Abflug schnell die Bargeldversorgung im Ausland gegen Pauschalentgelt oder am Fuß der Berge die Ski- und Unfallversicherung angeboten werden. Oder ganz neue Produkte, die heute noch gar nicht existieren.
Unter diesen Voraussetzungen ist spätestens seit der überarbeiteten EU-Zahlungsdienstrichtlinie (PSD2) der „Kampf um die Kundenschnittstelle“ entbrannt. Ob die Banken dabei die Hoheit über ihre Daten an wendigere FinTechs verlieren, ist noch offen. Wie wichtig allen Beteiligten der Zugang zu den Daten ist, zeigt die hitzige Debatte zum Thema „Screen Scraping“, die die Formulierung der Regulatorisch Technischen Standards (RTS) durch die European Banking Authority (EBA) im Frühjahr dieses Jahres ausgelöst hat.
370 Millionen gegen 100 Produkte
Amazon oder Google sind in Diskussionen zu diesem Thema oft die Vorbilder, denen Banken nachzueifern scheinen. Dabei übersehen manche: Das Wissen über einzelne Kunden, das sich aus den Daten gewinnen lässt, muss auch konkretes Handeln erlauben. Und hierin unterscheiden sich Banken dann doch von Amazon: Sie haben eben nicht rund 370 Millionen Produkte im Angebot, sondern bestenfalls hunderte. Und im Augenblick werden es eher weniger denn mehr: So will die Commerzbank die Anzahl ihrer Produkte von über vier- auf unter einhundert reduzieren, weil der Rest sich nicht digitalisieren lasse.
Datensparsamkeit kann neben persönlicher Beratungskompetenz und schnellen, digitalisierten Standard-prozessen eine der drei Kernkompetenzen der Bank der Zukunft sein
Deutsche Geldinstitute sind nicht Amazon oder Facebook – und sie müssen es vielleicht auch nicht sein. Sicher: Data Mining bietet ungeahnte Möglichkeiten, im Zweifelsfall reichen aber einfache Heuristiken schon sehr weit. Das gilt besonders für Banken, die nicht ausschließlich auf das Digitale setzen wollen, sondern in persönlicher Beratung ihre Stärke sehen. Der Mitarbeiter, der versteht, wieso ihm sein CRM-System eine Produktempfehlung für einen Kunden ausspricht, kann diesen viel besser vom Sinn des Produkterwerbs überzeugen.
Wenn der „große Data Mining-Wurf“ also nicht funktioniert oder nicht notwendig ist, besteht die Möglichkeit, zunächst bewusst auf eine datensparsame CRM-Logik zu setzen.
Die beschränkt sich auf sehr wenige, ausgesuchte Betrachtungen – zu denen der Kunde am besten explizit seine Zustimmung erteilt. Etwa durch Zustimmung, eine Vertragsanalysefunktion zu nutzen, bei dem die Bank zu ausgesuchten Verträgen (Strom, Versicherungen) günstigere Alternativen anbieten kann.
Eine Vereinfachung der Herangehensweise käme Banken auch umsetzungsseitig entgegen. Oft sind die bestehenden Datenberge noch nicht für die Datenexploration geeignet. Das so notwendige Schaffen einheitlicher und auswertbarer Datenpools ist eine komplexe, mithin teure Aufgabe. Erträge lassen sich dem gegenüber erst nach einer gewissen Analyse- und Trainingsphase erziele – und bei vielen Elementen der „digitalen Ökonomie“ stehen sie noch in den Sternen (oder besser: den Bits & Bytes).
Keine Kapitulation vor der Komplexität
Datensparendes, robustes CRM ist aber keine Kapitulation vor den Komplexitäten fortgeschrittenen Data Minings. Sie macht vielmehr aus einer (kleinen) Not eine Tugend: Einerseits Setzen auf umsetzbare Lösungen, die bereits kurz- und mittelfristigen Provisionsertrag versprechen. Andererseits die Möglichkeit, sich unter dem Aspekt Datensparsamkeit publikumswirksam auf dem Markt zu positionieren.
Vertrauen ist tatsächlich der Anfang von allem – und Vertrauensverlust das Ende einer Bank. Das bezieht sich auch auf den Umgang mit Kundendaten. Neben klaren gesetzlichen und ethischen Verpflichtungen hat ein guter Datenschutz-Leumund auch einen ökonomischen Wert. Das wollen sich die deutschen Banken derzeit gleich mehrfach zu Nutzen machen. Sparkassen, Genossenschaftliche Institute und zuletzt ein Bündnis aus Teilen der alten Deutschland AG unter Beteiligung von Deutscher Bank und Postbank wollen Identitätsplattformen aufbauen, die den Single Sign-Ons amerikanischer Konzerne Paroli bietet. Und innerhalb dieser Plattform den Kunden gute (also ihre eigenen) Produkte anbieten. Wenn über diese Plattform aber lediglich eine amerikanische Datenkrake durch eine deutsche ersetzt wird, hält sich ihr Mehrwert für die Kunden in Grenzen.
Mehrwert gibt es dann, wenn die Kunden datensparsamst und mit ihrem Einverständnis – und für sie nachvollziehbar – wirklich bessere Alternativen angeboten bekommen. Das wäre dann nachhaltiger, umweltschonender Umgang mit dem „neuen Öl“. Denn wie beim richtigen Öl gilt: Zu gieriges Bohren kann zu Blow-Outs führen, die erhebliche Schäden für die Reputation einer Bank haben können. Gezieltes und maßvolles Bohren bringt den gleichen Nutzen und verhindert, dass die Quellen zu schnell versiegen. Im Gegenteil: Wenn mehr und mehr Kunden sich für diesen schonenden Umgang begeistern, können die Quellen sogar wachsen. Das unterscheidet Daten dann doch vom „alten Öl“.