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Blog
03.06.2019 Agilität

Agile Transformation für Fortgeschrittene

Sind die ersten agilen Initiativen auf den Weg gebracht, lässt die „Management Attention“ spürbar nach. Dabei geht es jetzt erst ans Eingemachte. Damit agile Teams langfristig erfolgreich arbeiten können, müssen auch die Organisationsstrukturen agiler werden.

Mit ihrer Ankündigung, „die erste agile Bank Deutschlands“ werden zu wollen, rüttelte die ING die deutsche Finanzbranche endlich wach. Mittlerweile versuchen sich immer mehr Finanzdienstleister an Agilität: Die Berlin Hyp will zum Beispiel unter dem Slogan „agil.vernetzt.creativ“ neue Strukturen, neue Prozesse und neue Arbeitsanweisungen einführen. Auch die traditionell eher zurückhaltenden Sparkassen öffnen sich agilen Themen. Innerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe gilt die Sparkasse Bremen als Vorreiter: „Flexibler, agiler, innovativer“ beschreiben zukünftig die Prinzipien der Zusammenarbeit. Hierfür soll der Neubau des Verwaltungsgebäudes auf dem Campus der Uni Bremen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Andere Häuser stehen hingegen noch ganz am Anfang des Transformationsprozesses. Mit kleinen Pilotprojekten und Initiativen werden agile Methoden geübt und ausprobiert. Ansätze für einen gelungenen Einstieg in Agilität zeigen wir in unserem Artikel „Kleine Veränderung, große Wirkung“. Laufen die agilen Pilotprojekte positiv, werden weitere Projekte und Teams angehängt, der agile Zug nimmt Fahrt auf. Damit die ersten Erfolge nicht verpuffen und agile Vorhaben nicht an den bestehenden Strukturen scheitern, müssen diese auf ihren „Fit“ zu den agilen Prinzipien überprüft werden. Typische Prüfpunkte zeigen wir im Folgenden.

Prüfpunkt „Budgetprozess“

Agile Methoden werden bei komplexen Vorhaben eingesetzt, bei denen es vorab zwar eine Vision vom Endprodukt gibt, Details aber iterativ unter Einbezug von Kundenfeedback erarbeitet werden. Bei agilen Projekten kennen wir vorher also noch nicht den genauen Umfang des Endproduktes in jedem Detail. Genau darauf basieren aber oftmals Budgetfreigaben. In einem detaillierten Business Case wird eine Antwort darauf erwartet, welche Funktionen genau zur Verfügung stehen, was deren Umsetzung kostet und was sie schlussendlich einbringen. Bei agilen Projekten braucht es einen grundsätzlich anderen Angang. Ähnlich wie bei der Finanzierung von Start-ups kann mit verschiedenen Finanzierungsrunden dem iterativen Vorgehen in agilen Projekten Rechnung getragen werden. So wird bei einer überzeugenden Vision mit erster, positiver Potenzialabschätzung zunächst das Budget für einen Prototypen freigegeben. In der nächsten Finanzierungsrunde wird dann auf Basis von Prototyp und Kundenfeedback entschieden, ob das Projekt weiterverfolgt werden soll. Weiterer Vorteil: Anstatt Zeit in die Erstellung von umfangreichen Business Cases zu investieren, kann mit wenig Budget ein Produkt schnell getestet und damit das Risiko der Investition deutlich gesenkt werden. So lassen sich innovative Ideen bei relativ geringem Risiko unbürokratisch umsetzen.

Prüfpunkt „Verzielung und Leistungsbewertung“

Durch die iterative Vorgehensweise und wechselnde Teambesetzungen in agilen Projekten laufen klassische Zielsysteme ins Leere. Schließlich wird hier für ein Jahr im Voraus geplant, Änderungen sind unterjährig nicht mehr möglich. Häufig sind die individuellen Ziele dabei lediglich eine direkte Resultante aus der Geschäftsplanung, betreffen nur die Mitarbeiter im Vertrieb und stellen ausschließlich auf den kurzfristigen vertrieblichen Erfolg ab. Zumindest für die agil arbeitenden Teams sollte das Zielsystem daher weiterentwickelt werden. Die Methode „Objectives and Key Results“ (kurz: OKR) kann hierfür einen strukturellen Rahmen liefern. Bei OKR erfolgt die Zieldefinition jeweils nur für einen kurzen Zeitraum (z. B. ein Quartal) und unter Beteiligung der Mitarbeiter. Gleichzeitig geht es weniger um die anteilige Erreichung der Planzahlen sondern um den Weg dorthin. Weiterer Vorteil: Über OKR lässt sich am Ende des Jahres strukturiert belegen, an welchen Themen ein Mitarbeiter gearbeitet hat. So kann (zumindest vorübergehend) auch für Mitarbeiter, die in crossfunktionalen und regelmäßig wechselnden Teams arbeiten, die Grundlage für eine jährliche Leistungsbewertung gelegt werden.

Prüfpunkt „Führung“

Übergreifend verändert sich durch mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation von Teams und Individuen die Rolle der Führungskraft. Für agile Teams ist das fachliche Tiefen-Know-how ihrer Führungskraft weniger relevant. Viel wichtiger ist der Blick fürs große Ganze, Empathie, Kommunikationsstärke und die Fähigkeit, Menschen und Teams weiterzuentwickeln und zu Höchstleistungen anzuspornen. Für Führungskräfte, die es gewohnt sind, hauptsächlich das fachliche Vorgehen zu managen, ist dieser Wandel sehr tiefgreifend und fällt mitunter schwer. Wir raten Unternehmen, sich zunächst damit auseinanderzusetzen, welche Führungskultur grundsätzlich angestrebt wird und an welchen Stellen im Unternehmen agile Führung besonders wichtig ist. Es gilt, die Zielprofile und Einstellungskriterien anzupassen sowie vorhandenes Personal an den kritischen Stellen gezielt zu schulen und weiterzuentwickeln.

Prüfpunkt „Raumkonzept“

Damit agile Teams effizient arbeiten können, brauchen sie nicht nur eine gute Führung sondern auch die richtigen Räumlichkeiten. Typische Verwaltungsgebäude und Beratungscenter von Banken sind jedoch nach wie vor geprägt durch Einzel- oder Doppelbüros, Konferenz- und Besprechungsräume sind für Kundenveranstaltungen vorbehalten oder bereits wochenlang im Voraus ausgebucht. Sicherlich verhindert das keine gute Teamarbeit, es wird aber deutlich schwerer, effizient zusammenzuarbeiten. Darum ist es kaum verwunderlich, dass die agile Transformation wie bei der Sparkasse Bremen auch an ein neues Raumkonzept geknüpft wird. Mithilfe von offenen Bürokonzepten können Mitarbeiter frei entscheiden, ob sie im Open Space, dem Besprechungsraum, der Lounge oder an den verschiedenen Touch Points zusammenarbeiten möchten. Auch die Wandgestaltung steht ganz im Zeichen der gemeinsamen Arbeit: Hier ist idealerweise Platz für Flipcharts, Whiteboards und Post-Its, sodass Ideen und Diskussionen jederzeit visualisiert, aktuelle Arbeitsstände festgehalten und Timelines und Verantwortlichkeiten präsent werden können.

„Agilität“ einzuführen bedeutet damit, sukzessive auch die grundlegenden Strukturen in einer Organisation zu hinterfragen und an die neuen Prinzipien der Zusammenarbeit anzupassen. Der Wandel kann also auf Dauer nicht nur auf Projektebene stattfinden. Gleichzeitig sollte sich eine Organisation auch nicht überfordern und alle Strukturen auf einmal verändern. Auch hier gilt das Prinzip „agil agiler werden“: Schritt für Schritt und in Abhängigkeit der individuellen Ausgangslage der Organisation werden die größten Druckpunkte identifiziert und anschließend adressiert.