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Blog
20.11.2017 MiFID II

Regulatorik als Chance für das Wertpapiergeschäft mit Retailkunden

Anfang 2018 treten durch MiFID II umfangreiche Regulierungen im Wertpapiergeschäft in Kraft. Allen Panikrufen zum Trotz sollten Banken und Sparkassen sie weniger als Last und mehr als Chance im Mengengeschäft begreifen. Richtig übersetzt, verbessern Standards die Beratungsqualität, stärken dem Kundenberater den Rücken und lassen dringend benötigte Provisionserträge fließen.

Der kürzlich durch die Medien verbreitete großväterliche Rat eines ehemaligen Vorstandssprechers einer deutschen Großbank an seine Enkel, dieser Tage keine berufliche Laufbahn in einer Bank aufzunehmen, steht sinnbildhaft für das erodierende Selbstbewusstsein einer ganzen Branche. Nach jahrzehntelangem Ausruhen auf den auskömmlichen Erträgen aus der Fristentransformation werden echte Herausforderungen aus der anhaltenden Niedrigzinsphase und den Trends wie Digitalisierung, verändertes Kundenverhalten oder auch eine ausufernde Regulatorik gleich zum Ausgangspunkt von Untergangsphantasien. In dieses Bild passt exemplarisch die Entwicklung in der Wertpapierberatung im Breitengeschäft. Statt einem gut bezahlten und gut ausgebildeten Bankkaufmann nach Abschluss seiner Berufsausbildung die Beratung und den Verkauf von „einfachen“ Wertpapieren zuzutrauen, werden diese Aufgaben – unter Verweis auf eine (vermeintlich) unbeherrschbare Regulatorik – nicht selten auf einige wenige spezialisierte Wertpapierberater beschränkt.

Der Weg zu mehr Provisionserlösen: Wertpapiergeschäft als Standardaufgabe des Bankkaufmanns und Grundbedürfnis des Bankkunden verstehen

Da eine Überleitung an einen teuren Wertpapierspezialisten bei den typischen Anlagesummen im Retailgeschäft unwirtschaftlich und für den Kunden aufgrund des gesonderten Beratungstermins unattraktiv ist, bleibt ein wertpapierbasierter Vermögensaufbau heute vielen Retailkunden verwehrt. Dies führt – entgegen dem vielfach marktschreierisch formulierten Anspruch – im Ergebnis zu einer qualitativ schlechten Beratung. Zudem gehen den Instituten bei dieser Herangehensweise auch vielversprechende junge Kunden, die noch auf dem Weg zu attraktiven Einkommen oder Vermögen sind, an den Anbieter im Netz oder freie Finanzberater verloren. Ganz zu schweigen von der Motivation des frisch ausgelernten Bankkaufmanns und den darin begründeten Chancen für den Provisionserlös der Bank.

MiFID II und das Wertpapiergeschäft

Das Zweite Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschiften auf Grund europäischer Rechtsakte (2. FiMaNoG) tritt in weiten Teilen zum 03.01.2018 in Kraft, um die Vorgaben der überarbeiteten Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) in deutsches Recht umzusetzen. Die Regelungen der ergänzenden Finanzmarktverordnung (Markets in Financial Instruments Regulation – MiFIR) gelten unmittelbar ohne „Übersetzung“ durch den nationalen Gesetzgeber als Vorgabe für die Banken und Sparkassen.

Kostentransparenz, Zielmarktdefinition und Geeignetheitserklärung als zentrale Elemente zur Verbesserung des Verbraucherschutzes nach MiFID II

Als unabhängiger Anlageberater („Honorarberater“) darf sich im neuen Jahr nur noch bezeichnen, wer keine Vertriebsprovisionen von Dritten annimmt. Der Rest gilt umgekehrt als „abhängiger Anlageberater“ und muss Zuwendungen Dritter in ihrer Höhe offenlegen und ausschließlich zur Verbesserung der Servicequalität einsetzen.

Eine wesentliche Neuerung ist zudem das Zielmarktkonzept. Emittenten von Finanzprodukten wird auferlegt, Zielkunden für das jeweilige Produkt zu bestimmen, um es über die Banken und Sparkassen ausschließlich den jeweils geeigneten Kunden anzubieten. Als Kriterien zur Bestimmung des Zielmarktes gelten Kundenkategorie, Anlageziele des Kunden, Kundenbedürfnisse, Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden, Risiko/Rendite-Profil des Kunden sowie seine Verlusttragfähigkeit.

Mit der sogenannten Geeignetheitserklärung wird schließlich der Bezug des jeweiligen Produkts standardisiert zum konkreten Kundenbedarf hergestellt. Die ungeliebte und ungleich anspruchsvollere Darstellung des Wertpapierberatungsgespräches im sogenannten Beratungsprotokoll entfällt damit zur Freude vieler Kundenberater.

Standardisierung als Katalysator für den Wertpapierabsatz im Breitengeschäft

Gerade die Ablösung des Beratungsprotokolls durch die im Vergleich einfachere Geeignetheitserklärung sollte als Chance begriffen werden, um auch im Retailgeschäft (weiterhin) eine kompetente und wirtschaftliche Wertpapierberatung in der Breite anzubieten. Dabei ist die zunehmende Standardisierung primär als Ausdruck der Prozessqualität und nicht der mangelnden Individualität einzuordnen. Auch nicht auf das Wertpapiergeschäft spezialisierte Kundenberater dürften auf diesem Weg zukünftig selbstbewusst in das Beratungs- und Verkaufsgespräch mit dem Kunden gehen.

Wer schließlich in der zunehmenden Standardisierung der Wertpapierberatung nur das drohende Einfallstor für Fintechs mit algorithmenbasierter Anlageberatung sieht, dem sei zugerufen, dass der Absatz von Wertpapieren – gerade im risikoaversen und resultierend wenig wertpapieraffinen Deutschland – noch auf absehbare Zeit primär nach dem Push-Prinzip funktionieren wird.

In vier Schritten zur weiterentwickelten Vertriebsaufstellung

Um die Ansatzpunkte aus dem Legislativpaket MiFID II/MiFIR zum Push des Wertpapiergeschäfts gewinnbringend nutzen zu können, bedarf es im ersten Schritt regelmäßig zunächst einer kritischen Bestandsaufnahme zum Status quo im jeweiligen Institut. Nach der anschließenden Ableitung einer Strategie zum Zielbild für das Wertpapiergeschäft gilt es, entsprechend standardisierte Beratungs- und Verkaufsprozesse zu konzipieren. Schließlich sind die Vertriebseinheiten bei der Umsetzung eng zu begleiten, um bestehende Ängste und Vorbehalte abzubauen. Angesichts der bestehenden Chancen und der dieser Tage in den Häusern oft vorherrschenden Meinung von der Unerbittlichkeit der Regulatorik, bietet sich eine Einbeziehung Dritter an.