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Blog
08.04.2019 Versicherungen

Mit klarem Fokus aus der Schreckstarre

Innovationen und neue Technologien verbreiten nicht nur Aufbruchsstimmung, sondern auch Unsicherheit bei Versicherern. Die Wechselhürden zwischen verschiedenen Anbietern werden weiter fallen und der Platz für Mittelmäßigkeit schwindet. Eine zaghafte Überarbeitung etablierter Geschäftsmodelle wird nicht ausreichen. Zukünftiger Erfolg gelingt nur über eine Rückbesinnung auf die eigenen, klassischen Stärken.

Ein Festhalten am Status quo ist keine Option. Der Handlungsdruck durch die Vielfalt digitaler Technologien ist längst auf den Vorstandsebenen der Versicherungen angekommen. Bei der Allianz spiegelt sich dies etwa in einem neuen Vorstandsressort auf Ebene der Holding wider. Schon heute ist klar, der Versicherungswechsel auf Knopfdruck wird mittelfristig Realität. Auf die Trägheit der Masse darf und sollte sich kein Unternehmen mehr verlassen. Nutzerfreundliche Wechselservices oder Aggregatoren drängen mittelmäßige Angebote über kurz oder lang aus dem Markt. Eine erfolgreiche Strategie muss klare Schwerpunkte setzen. Aber wie sieht eine robuste Strategie aus? Der Versuch, alle Geschäftsfelder und Trends aus eigener Kraft abzudecken, scheitert regelmäßig. Oder, um Friedrich den Großen zu bemühen: „Wer alles defendieren will, der defendieret gar nichts“.

Die Frage nach der Existenzberechtigung voranstellen

Bevor eine Strategie beschlossen wird, sollte klar sein, wohin sich der Markt entwickelt. In jedem Unternehmen sollte deshalb zuerst ein gemeinsamer Blick auf Trends und verschiedene Marktszenarien geschaffen werden. Dies kann zwar nur eine Prognose sein, aber sie hilft, konstruktive Strategiediskussionen zu führen. Sind die Marktanforderungen einmal transparent, können diese mit dem eigenen Stärken- und Schwächenprofil abgeglichen werden. Dies setzt einen ungeschönten Blick nach innen voraus. Die gute Nachricht: Auch ein verändertes Kundenverhalten und der technologische Fortschritt versprechen in Zukunft viel Platz für verschiedene Geschäftsmodelle. Die Abbildung der gesamten Wertschöpfungskette wird aufgrund der vielschichtigen Herausforderungen nur den am besten ausgestatteten Unternehmen möglich sein. Ein klarer Fokus ist für die meisten Versicherer und Start-ups erfolgsversprechender: Besetzer der Kundenschnittstelle, Produktgeber oder IT-Spezialist.

Besetzer der Kundenschnittstelle

In den Wettstreit um die Kundenschnittstelle treten neben den klassischen Versicherern und Insurtechs auch immer mehr Unternehmen aus anderen Bereichen. Der Vertrieb von Versicherungsprodukten durch Banken, das Bancassurance, erlebt etwa durch den Trend zum digitalen finanziellen Zuhause eine kleine Renaissance. Über den Aufbau eines Ökosystems bekommen auch entferntere Branchen Zugang zum Versicherungsmarkt, etwa die großen Tech-Unternehmen Google, Apple, Facebook, Amazon und Alibaba. Mit einer enormen Kundenbasis, einer klaren Transparenz über Verhalten und Bedürfnisse ihrer Kunden sowie ihrem technologischen Know-how haben sie einen Wettbewerbsvorteil. Als einen von mehreren Vorstößen in den Versicherungsbereich hat die Alibaba-Tochter Ant Financial beispielsweise zuletzt gemeinsam mit Trust Mutual Life ein neues und innovatives Versicherungsprodukt auf den chinesischen Markt gebracht. Zwar liegen hiesige Versicherer in einigen Bereichen zurück, punkten aber über Vertrauen in die Marke und den persönlichen Kontakt.

Bei der Auswahl und Gestaltung der Vertriebskanäle muss aus Kundenperspektive gedacht werden. Eine erfolgreiche Strategie zur Besetzung der Kundenschnittstelle erfordert, gemäß der ausgewählten Zielgruppen, die Auswahl und Optimierung verschiedener Vertriebskanäle:

  • Im persönlichen Vertrieb nimmt der Ausschließlichkeitsvertrieb den Löwenanteil ein. Der persönliche Kontakt ist Vertrauens- und Verkaufstreiber, gerade bei komplexeren Produkten. Bei Kranken- und Lebensversicherungen ist dies laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit über 40 Prozent besonders ausgeprägt. Ein einfaches „Weiter so“ reicht aber nicht. Dem Trend zur Digitalisierung muss Rechnung getragen werden. Zum einen sollte der Kunde seinen Ansprechpartner über alle geläufigen Kommunikationskanäle erreichen können. Zum anderen sollten auch grundlegende Lösungen, wie beispielsweise ein CRM-System voll in den Vertriebsprozess integriert werden, um so passende Gesprächsanlässe identifizieren und priorisieren zu können.
  • Der Direktvertrieb wird immer wichtiger, gerade bei einfachen Produkten. Zwar lag der Anteil an Abschlüssen bei Unfall- und Schadenversicherungen 2017 laut GDV nur bei rund 15 Prozent, die vertriebliche Bedeutung ist jedoch weit größer, da etwa Call-Center oder online Tarifrechner oft Teil der gesamten Customer Journey sind. Eine selbsterklärende Oberfläche und eine volle Integration mit anderen Kanälen sind daher Pflicht.
  • Anstatt Teil eines fremden Ökosystems zu sein, können Versicherer auch ein eigenes aufbauen und sich somit den Zugang zum Kunden sichern. Neue Technologien bieten zudem Raum, stärker in die Rolle eines Beraters und Life-Style Coaches zu schlüpfen – Risiken minimieren statt Schäden ausgleichen. Der Aufbau eines eigenen Ökosystems in Bereichen wie Mobilität oder Gesundheit ist denkbar. Das eigene Leistungsangebot muss dafür durch Services von Partnern ergänzt werden.
  • Auch das Prinzip von Aggregatoren kann von traditionellen Versicherern übernommen werden. Die Einführung eines digitalen Versicherungsmanagers verspricht eine komfortable zentrale Verwaltung aller Policen des Kunden. Über einen zentralen digitalen Versicherungsordner können alle Policen, auch die von anderen Versicherungen, verwaltet und sämtliche Schäden reguliert werden. Die laufende Anpassung der Abdeckung auf die aktuellen Umstände birgt zudem Vertriebspotenzial.

Produktgeber – innovative Ideen und effiziente Prozesse

Die Positionierung als Produktgeber setzt eine Spezialisierung auf die klassischen Kernbereiche wie Risikomanagement, Schadenabwicklung und Produktentwicklung voraus. Neben dem klassischen Handwerkszeug der Versicherungsbranche erfordern Digitalisierung, neue Technologien und größere Datenmengen aber auch neue Fähigkeiten.

Fortschritt und Innovationen zwingen Risikomodelle in einen Wandel. Um neue Produkte zu versichern, müssen Assekuranzen das dahinterstehende Risiko zunächst einmal verstehen. Beim Schutz von Unfällen mit Drohnen fehlen aber beispielsweise noch lange Zeitreihen. Auf der anderen Seite liefern Technologien, wie etwa das Internet of Things, neue Möglichkeiten der Datenanalyse, um Risiken besser abzuschätzen oder Schäden gar zu vermeiden (Stichwort: Predictive Maintenance).

Die Schadenabwicklung wird in Zukunft weitestgehend automatisch ablaufen. Über die Blockchain-Technologie wird schon heute in den USA eine Versicherung angeboten, die bei Verspätung eines Fluges vollautomatisch eine Auszahlung an den Versicherungsnehmer anweist. Auch eingereichte Rechnungen können bereits über eine intelligente Erkennungssoftware im Regelfall dunkel, also ohne Mitarbeiterinteraktion, verarbeitet werden.

Neue Datenmengen und Analysemöglichkeiten, etwa über künstliche Intelligenz, öffnen die Tür zu innovativen Versicherungsprodukten . Der Trend geht in Richtung nutzungsbasierter Tarife. Im Kfz-Bereich werden bereits Tarife nach Fahrverhalten und tatsächlich gefahrenen Kilometern angeboten. Eine Erweiterung mit Hilfe von Wetterdaten, Routenwahl und autonomem Fahren sind naheliegend.
Durch Kreativität und gezieltes Innovationsmanagement lassen sich attraktive Produktangebote entwickeln. Neben einem zeitgemäßen Risiko- und Schadenmanagement muss für den Vertrieb auch eine einfache Integration in Fremdsysteme sichergestellt werden.

IT Spezialist – als White-Label-Anbieter Digitalisierung ermöglichen

Egal, ob sich ein Versicherer auf die Besetzung der Kundenschnittstelle oder die Bereitstellung von Produkten konzentriert, ein hoher Grad an Automatisierung und Digitalisierung ist in jedem Fall notwendig. Der Bedarf für entsprechende IT-Lösungen und -Unterstützung ist entsprechend groß. Statt diese selbst zu entwickeln, ist es oft besser, schon verfügbare Lösungen Dritter einzukaufen und zu integrieren. In genau diesen Markt stößt der IT Spezialist mit seinem Angebot.

Viele Insurtechs erkennen dieses Potenzial und stellen etablierten Spielern White-Label-Lösungen zur Verfügung, bei denen technische Innovationen eines Startups in die eigenen Systeme unter eigener Marke integriert werden. Ein Beispiel dafür ist "Friendsurance". Sie stellen den eigen entwickelten digitalen Versicherungsmakler der Deutschen Bank für ihre „digitale Hausbank“ zur Verfügung.

Gleiches gilt für traditionelle Versicherer , die dem Markt eigene Lösungen bereitstellen können. Das Know-how mit langjähriger Erfahrung in der Dunkelbearbeitung von Schadenprozessen könnte beispielsweise auch Insurtechs zur Verfügung gestellt werden. Solange kein USP aufgegeben wird, kann dies eine zusätzliche Ertragsquelle darstellen.

Fazit – über eine Fokussierung den Wettbewerbsvorteil sichern

Die Wellen von Innovationen und neuer Technologie schlagen den traditionellen Versicherern immer schneller und heftiger entgegen. Ob Robotik, Voice Assistants, künstliche Intelligenz, Big Data: Die Breite und Vielfalt digitaler Neuerungen ist enorm.

Dieser scheinbar überwältigenden Entwicklung werden oft nur Maßnahmen im Klein-Klein entgegengestellt. Eine Grundsatzdiskussion findet zu selten statt. Ein gemeinsamer Blick auf den zukünftigen Markt ermöglicht die Ableitung verschiedener erfolgsversprechender Zielbilder. Grundlage für die letztendliche Ausrichtung und die bewusste Fokussierung des Geschäftsmodells ist das eigene Stärken- und Schwächenprofil.

Dabei werden diejenigen Häuser die Kundenschnittstelle am ehesten besetzen können, die über eine starke Marke bequeme und zuverlässige Kundenprozesse anbieten. Als Produktgeber sind jene Häuser prädestiniert, die schon heute effiziente Abwicklungsprozesse und eine günstige Kostenstruktur aufweisen – vorausgesetzt: eine schnittstellentaugliche Systemumgebung. Wettbewerbsfähig sind diejenigen, die notwendige Lücken im Portfolio schließen. Bei der Lösungssuche heißt dies, nicht nur auf Eigenentwicklungen zu setzen, sondern gezielt Leistungen einzukaufen. Und genau dort wächst ein Markt für IT-Spezialisten.