Gehe zum Hauptinhalt
Blog
17.09.2018 Filialnetz Kreditinstitute

Ein Sterben auf Raten führt zu keiner Renaissance – der Filialbetrieb muss professioneller werden

Zur Bedeutung des stationären Netzes in unseren digitalen Zeiten gehen die Meinungen weit auseinander. Banken und Sparkassen mit Glauben an die Zukunft des stationären Netzes müssen die althergebrachten Strukturen und Prozesse jedenfalls grundsätzlich hinterfragen und energisch verschlanken. Schließungen auf Raten, punktuell ein hübsches neues Filiallayout und Appelle an den Unternehmer im Mitarbeiter reichen nicht aus.

Auch zum zehnjährigen Jahrestag des Zusammenbruchs von Lehmann Brothers kommt die Bankenwelt nicht zur Ruhe. Banken und Sparkassen stehen unter einem erheblichen Kostendruck, die kontinuierliche Ausdünnung des Filialnetzes ist eine weithin sichtbare Auswirkung. Bundesweit sieht die Mittelfristplanung von Banken und Sparkassen – unter der Erwartung weiter sinkender Erlöse aus dem Zinsgeschäft und stagnierender Ergebnisse im Provisionsumfeld – vielfach spürbare Kostensenkungen vor. Nicht selten sehen die Planungen eine Aufwandsreduktion von 20 bis 30 Prozent in den nächsten Jahren vor. Eine Herkulesaufgabe, die vor dem Hintergrund der erheblichen Aufwendungen zur zwingend gebotenen Digitalisierung – bei gleichzeitig wieder deutlich anziehenden Gehaltstarifrunden – sehr ernst genommen werden muss. Ein weiter wie bisher wird nicht reichen.

Prominentes Opfer des Sparzwangs sind in diesem Kontext seit geraumer Zeit die Filialen der Institute. Durch ein verändertes Kundenverhalten zunehmend verwaist, drängen sich gerade kleinere Standorte als Ansatzpunkt zur Kostensenkung auf. So ist die Anzahl der Filialen in Deutschland laut Bundesbank seit 2008 jährlich um durchschnittlich 3 Prozent gesunden. In den vergangenen beiden Jahren sogar jeweils um knapp 6 Prozent. Ein probates Mittel zur Kostensenkung sollte man also meinen. Dies umso mehr, wenn man weiß, wie wenig zusätzliche Kontoauflösungen sich im unmittelbaren Umfeld von Filialschließungen beobachten lassen.

Unverstellte Sicht auf das Geschehen

Tatsächlich ist der Blick hinter die Kulissen ernüchternd: Eine Verdichtung der Kunden auf eine geringere Anzahl Filialen bewirkt im Regelfall lediglich eine Einsparung der eher geringen Sachkosten für den Betrieb der Immobilie. Unter Verweis auf die nahezu unveränderte Kundenzahl werden Servicekräfte, Berater- und Leitungskapazitäten – die eigentlichen Kostentreiber im Filialnetz – bestenfalls leicht reduziert auf die aufnehmenden Standorte verteilt. Statt verkürzt die Anzahl der Filialen zu diskutieren und Jahr für Jahr auszudünnen, ist eine nüchterne Bewertung einer wirtschaftlich sinnvollen Dimensionierung von Service- und Beratungskapazitäten im stationären Netz angezeigt.

Banken und Sparkassen müssen ihren stationären Flächen- und Personalbedarf systematisch am echten Kundenpotenzial ausrichten

Der stationäre Flächenbedarf für diese wirtschaftlich sinnvollen Kräfte ist dann eine rechnerische Konsequenz. Hierbei müssen das veränderte Kundenverhalten und die Chancen aus der Digitalisierung der Kundenbeziehung sowie die aktive Lenkung von Servicekunden für eine wirtschaftlich sinnvolle Dimensionierung der Beratungsflächen und Mitarbeiterkapazitäten angemessen berücksichtigt werden. Gerade noch gängige Betreuungsrelationen haben hier nicht selten sehr schnell einen historischen Wert.

Von dieser ökonomisch sinnvollen Dimensionierung ihres Netzes sind viele Institute aber noch weit entfernt, obwohl hier der eigentliche Anknüpfungspunkt zur Kostenoptimierung des Filialvertriebes steckt. Die zunehmend ausbleibende Laufkundschaft für Serviceanliegen – Bargeldbereitstellung und Kontoauszüge brauchen längst keinen Bankmitarbeiter mehr – erlaubt dieser Tage den unverfälschten Blick auf unproduktive Beratungs- und Verkaufsprozesse auf überdimensionierten Flächen. So erreichen Berater in Sparkassen und Banken nur selten für Beratungs- und Verkaufsaktivitäten eine Produktivität in Richtung von 50 Prozent ihrer Arbeitszeit. Mehr als jede zweite Minute verpufft regelmäßig unwirtschaftlich für „Sonstiges“. Diese unwirtschaftliche Grundaufstellung ist tradiert und kann nicht dem gern genutzten Sündenbock der Regulierung oder dem „veränderten Lauf“ zugeschoben werden. Aber auch die Phasen der aktiven Kundenberatung bieten in Banken und Sparkassen zahlreiche Ansätze zur Erhöhung der Produktivität. Während moderne Direktbanken beispielsweise die Kontoeröffnung aufsichtskonform in acht Minuten per Mobilfunktelefon bewältigen, kann dies in einer Bank oder Sparkasse schon gerne einmal eine geschlagene Stunde dauern. Kaum ein Investment, das ein Kunde schätzt und sicher auch kein Prozess, der durch die Schließung einer Filiale verbessert wird.

Eher zweifelhaft muten bei Licht betrachtet auch die zahlreichen Initiativen zur Erhöhung des Kundenlaufs in Filialen an. Durch kostenlosen Kaffee, WiFi oder Paketannahmestationen sollen Kunden und potenzielle Neukunden mit kostenlosen Angeboten in die Filiale gelockt werden. Als Motivation wird die Begrenzung der beschriebenen Unterauslastung von Service- und Beraterkapazitäten angeführt beziehungsweise eine lokale Verankerung des Kreditinstituts. Über die Wirkung dieser Maßnahmen auf die Kunden kann man geteilter Auffassung sein, eine nüchterne Kosten-Nutzen-Betrachtung dürfte eindeutiger ausfallen. Aus gutem Grund sucht man vergleichbare Initiativen bei anderen beratenden Berufen möglicherweise auch vergeblich. Aber auch in konsequent nach der Lean Management Philosophie ausgerichteten Unternehmen ist für diese kostenlosen Angebote kein Raum. Derartige Prozesse werden hier gerade als „Muda“ (Verschwendung) beschrieben und systematisch ausgemerzt.

Der wirtschaftlich erfolgreiche Betrieb eines Retailnetzes ist komplex – er basiert auf echtem Kundenbedarf und zentralen Handlungsmaximen

Zentrale Handlungsmaxime bilden das unabdingbare Grundgerüst für einen zukunftsfesten Betrieb.

Zehn zentrale Handlungmaximen für den Betrieb eines zukunftsfesten Filialnetzes

    Straffe Gebäudestruktur
  1. Der Flächenbedarf im stationären Netz folgt rechnerisch aus einer ambitionierten Dimensionierung von Service- und Beraterkapazitäten bezogen auf den Kundenstamm. Netto-Neukundenerwartungen können bei Realismus und Augenmaß in die Flächenplanungen einfließen.
  2. Der Rückbau von Überkapazitäten hinsichtlich Flächen und Personal ist konsequent zu betreiben und zu verbinden mit einer Standortauswahl an möglichst hochfrequenten Plätzen.
  3. Neu- und Umbauten sowie Renovierungen folgen durchgängig einer einheitlichen Gestaltungslinie, um die gewünschte Wirkung auf den Kunden und die angestrebte Arbeitsorganisation der Mitarbeiter konsequent im Netz auszurollen. Ein Baukastenprinzip macht den Aufwand für Budgetierung, Bauplanung sowie den laufenden Betrieb beherrschbar.

  4. Operative Exzellenz
  5. Um die Kosten für Servicetätigkeiten zu begrenzen und um den sukzessiven Rückgang der stationären Serviceleistungen aussteuern zu können, erfolgt eine echte Kundenberatung nicht durch Servicemitarbeiter.
  6. Die Anwesenheit von Service- und Beraterkapazitäten richtet sich nach dem Kundenbedarf.
  7. Die Produktivität der Kundenberater basiert auf drei Säulen: (i) dem richtigen Selbstverständnis des Beraters zur potenzialorientierten Terminakquise mit Bestands- und Neukunden (ii) der ergänzenden Initiative zentraler/dezentraler Terminakquisiteure (iii) und einer zeitgemäßen Möglichkeit zur Terminbuchung durch den Kunden.
  8. Vorgesetzte im stationären Netz stellen primär die Vorgaben für Serviceexzellenz, Produktivität, Beratungsqualität, Potenzialorientierung und Verkaufserfolg sicher. Dies erfordert Fachkompetenz, gepaart mit Empathie und Überzeugungskraft. Freie Ressourcen der ersten Vorgesetztenebene werden für die Betreuung eigener Kunden und die Neukundenakquise genutzt.

  9. Wirkungsvolle zentrale Unterstützung
  10. Zentralisierte Ressourcen stellen laufend eine potenzialorientierte Ausdifferenzierung des Produkt- und Beratungsangebots sicher – verwässerte oder entbehrliche Segmentierungen sind „Muda“ der reinsten Form und gehören abgestellt.
  11. Der stationäre Vertrieb erhält wertvolle datenbasierte Vertriebsanlässe – statt simpler Hinweise auf freie Liquidität oder Jubiläen.
  12. Der Prozess des standortübergreifenden Austausches zu Verkaufserfolgen und Prozessverbesserungen wird zentral gesteuert und inhaltlich befeuert.

Zukunftsfest nur bei professioneller Neuaufstellung

Über die Bedeutung des stationären Netzes aus Kundensicht gibt es zahlreiche Studien. Je nach Auftraggeber erfolgt hier regelmäßig ein Abgesang oder eine Bestätigung. Die harte Korrelation aus Marktanteilen und stationärer Präsenz sowie die noch immer übersichtliche Anzahl echter Hauptbankbeziehungen bei Direktbanken lässt die Filialisten hoffen. Die Renaissance von Reisebüros als menschliche Navigatoren im Dschungel des Onlineangebots sowie Überlegungen von Amazon und Co. zur stationären Präsenz mögen weiterer Anlass zur Hoffnung sein. Am wirtschaftlich deutlich wirkungsvollerem Betrieb der Filialen geht im turbulenten Bankenmarkt dieser Tage aber in keinem Fall ein Weg vorbei. Die Betrachtung „Filiale schließen ja oder nein“ mutet nach zeitgemäß digitaler Betrachtung an, springt aber wie ausgeführt deutlich zu kurz. Ohne Gegensteuern werden auch die nächsten zehn Jahre vom Sterben auf Raten geprägt.