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19.03.2018 Conversational Banking

CUI bono?

Conversational User Interfaces (CUIs) sind mehr als nur ein Hype. Die Möglichkeit, via Chatbot oder Stimmerkennung Finanzgeschäfte zu erledigen, erleichtert den Kunden die Interaktion und ergänzt den bisherigen Kanal- und Interaktionsmix. Je früher Finanzdienstleister Angebote entwickeln, desto besser. Dabei gilt: Eile ist richtig, Übereilen kontraproduktiv. Besser ist es, in kleinen Schritten vorzugehen.

Für Kinder der Sechziger, Siebziger und Achtziger war es noch Science Fiction: Die Raumschiffbesatzung, die dem Autopiloten mündliche Befehle erteilt, oder der Kämpfer der Foundation für Recht und Verfassung, der über seine Armbanduhr sein Auto um Hilfe bittet – intuitive, fast menschliche Konversation mit dem Computer.

Conversational User Interfaces (CUI), also Konversationsschnittstellen, erlauben es Nutzern, digitale Anwendungen in natürlicher Sprache zu steuern. Entweder schriftlich im Chatbot oder mündlich über einen Sprachassistenten.

Schon seit einigen Jahren dank Siri, Alexa und Co. alltagstauglich, erlangen CUIs zunehmende Fähigkeiten und Bedeutung. Schon heute haben nach Umfragen des Digitalverbands Bitkom annähernd 60 Prozent der Deutschen die Sprachsteuerungs-Funktion ihres Smartphones verwandt. Auch wenn nur rund jeder Zehnte davon ein häufiger Nutzer ist, gilt: Tendenz steigend – und zwar sowohl bei Chatbots als auch bei Sprachassistenten.

Die Anzahl der allein im Facebook Messenger verfügbaren Chatbots ist in den letzten beiden Jahren auf über 100.000 gestiegen. Und in den USA ist die Zahl der „Skills“ – also Sprachassistenten-Apps – für die Amazon-Anwendung Alexa seit Ende 2016 um das Fünffache gewachsen.

In den USA verfügbare Alexa-Skills
In den USA verfügbare Alexa-Skills

So findet sich heute kaum ein Großunternehmen oder Startup, das nicht bereits erste Conversational-Lösungen anbietet – seien es die Bestellstatus-Abfrage des Paketzulieferers, die Terminverwaltung, die Steuerung der Smarthome-Anwendungen, das Bestellen von Lebensmitteln und Taxen, oder Services wie Adressänderungen oder Rückrufbitten.

Fast nichts scheint unmöglich

Finanzdienstleistungen machen hier keine Ausnahme – eine große Zahl an CUI-Anwendungen ist entweder in Entwicklung oder bereits im Einsatz:

  • Zum Beantworten allgemeiner Fragen, etwa Börsenkursentwicklungen oder Produktdetails, wie etwa der im März 2018 vorgestellte Chatbot der Deutschen Kreditbank: „Herbie“ soll Interessenten an Konsumentenkrediten bei der Produktwahl begleiten.
  • Bei Serviceangelegenheiten, also als Alternative zu statischen FAQ-Listen oder Suchfenstern, aber auch um beispielsweise eine Kartensperrung vorzunehmen.
  • Anstelle klassischer Formulare, durch die interaktive Erfassung von Kundendaten und weiterer Informationen.
  • Für kundenindividuelle Informationen wie Kontostand und Umsatzanalysen. Hier pilotiert die Sparkasse Stade-Altes Land seit März eine durch die Finanzinformatik entwickelte Google Assistant-„Action“.
  • Bis hin zum eigentlichen Chat- oder Voicebanking, bei dem der Kunde etwa Überweisungen durchführt. In Deutschland lassen sich via Apple-Assistentin SIRI bereits bei einer Reihe von Banken wie der Postbank, der Deutschen Bank oder N26, Überweisungen vorbereiten. Die eigentliche Freigabe erfolgt allerdings noch in der „klassischen“ App, solange eine sprachbiometrische Authentifizierung noch nicht vollständig entwickelt ist.

Vorteile allenthalben

Aus Kundensicht bieten CUIs neben der einfacheren und intuitiven Bedienung auch den Vorteil, rund um die Uhr erreichbar zu sein und den direkten Zugang zur gewünschten Bankdienstleistung: Die Abfrage des Kontostands kann ja über den gleichen Sprachassistenten erfolgen, bei dem der Kunde auch sein Taxi bucht.

Auch für Banken lohnt sich die Investition in CUIs – und nicht nur, um das digitale Image aufzupolieren. CUIs erhöhen die Reichweite der Bank, sowohl in der Breite (Einbindung von Bots in soziale Medien oder Voice-Skills in Smartspeaker) als auch zeitlich. Der Sprachassistent hilft auch dann noch, wenn die Filiale längst geschlossen hat. Und durch das Verlagern von Standardprozessen lassen sich mehr Leistungen günstiger anbieten und die eigenen Mitarbeiter für Spezialfälle oder das werthaltigere Geschäft einsetzen.

Bei allen Erleichterungen und allen Möglichkeiten: Auch Conversational Banking hat seine Grenzen. So sollten Banken die Leistungsfähigkeit und Benutzerfreundlichkeit ihrer Apps nicht unterschätzen oder vergessen. Überweisungen oder Datenanalysen lassen sich dort mit wenigen Wischern umsetzen – weit schneller, als dem Chatbot erst sein Anliegen zu erklären.

Auch gibt es Grenzen bei der Bereitwilligkeit, CUIs zu nutzen: Selbst Conversational Natives, die keine Berührungsängste haben, mit ihrem Smartphone zu sprechen, werden aus Diskretionsgründen bisweilen leisere Interaktionsmöglichkeiten wählen. CUIs sind dann eine vielversprechende Erweiterung des Kanal- und Zugangsmixes, aber kein Ersatz für die derzeitigen Kanäle.

Doppelte Rolle

Multikanalangebot der Banken
Multikanalangebot der Banken

Vor dem Hintergrund dieser Anwendungsmöglichkeiten, ihrer Vorteile und Grenzen spielen Conversational Banking-Elemente eine doppelte Rolle:

  • Sie sind einerseits zusätzliche Eingabe- und Dialogmittel für die bestehenden Kanäle Online, Mobile und Call Center. Statt zu wischen, zu klicken, Masken zu befüllen oder – während der Geschäftszeiten – mit Menschen und einfacheren Sprachdialogsystemen zu reden, können Kunden dem Computer in natürlicher Sprache bequem ihr Anlegen schildern. Beim Online- und Mobile-Einsatz sind die CUIs dann selber auch nicht auf eine Antwort in Text- oder Sprachform beschränkt. Nach mündlicher Bitte um Analyse der Umsatzzahlen kann der Sprachassistent durchaus ein passendes Diagramm oder eine Liste der relevanten Treffer zeigen.
  • Und sie sind andererseits, etwa dann, wenn sie vom Kunden über Smart Speaker wie Googles „Home“ oder als Chatbots innerhalb anderer Messenger-Apps genutzt werden, tatsächlich ein eigener Kanal. Hier sind CUIs nicht unterstützendes Eingabemedium, sondern Kern des Kundenprozesses.
    Je nach konkreter Umgebung verfügen sie nur über eingeschränkte Möglichkeiten, dem Kunden Inhalte darzustellen. Beim Standard Smart Speaker etwa kein Display, um komplexere Analysen anzuzeigen. Daher müssen für CUIs als eigener Kanal unter Umständen Produkte und Leistungen besonders zugeschnitten werden.

Eile …

Bereits heute schickt sich eine beträchtliche Zahl an Geldhäusern und Technologiekonzernen an, Conversational Banking-Lösungen zu entwickeln – oder zumindest in den einschlägigen Foren, auf Hackathons und in Blogs zu verkünden, dass man entsprechende Entwicklungen plane.

Der Eile und Priorisierung liegt durchaus ein strategisches Kalkül zugrunde. Denn CUIs sind kein Hype, sondern eine Anwendung mit Zukunft. Gerade dort, wo sie als eigener Kanal zu verstehen sind, können sie enorme strategische Wirkung entfalten: Stärker noch als Multibanking-Apps sind sie in der Lage – und aus Kundensicht dazu da – alle Finanzprodukte des Kunden über einen Zugang zu verwalten. Befehle „Überweise 50 Euro an Peter von dem Konto mit dem höchsten Kontostand“ sind für einen „richtigen“, intelligenten Finanzassistenten kaum ein Problem. Einer der Gedanken der Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 wäre damit in Reinform umgesetzt. Damit ist für diejenigen Banken, die nicht den präferierten Assistenten stellen, der Zugang zum Kunden stark bedroht.

Das gilt umso mehr, da gegenüber den normalen Multibanking-Apps und Online-Tools gerade bei Sprachassistenten ein Anbieter-Flaschenhals besteht, wie sich bei Amazon Alexa zeigte: Im November sperrte Amazon alle kundenindividuellen Banking-Skills bis auf Weiteres. Offizielle Verlautbarungen ließen auf sich warten, anscheinend wollte man aber prüfen, ob die vorhandenen Lizenzen es dem US-Konzern erlaubten, auch nach dem Inkrafttreten der PSD2 Kontoinformationsdienste anzubieten. Die Vermutung vieler Beobachter war aber eine andere: Amazon sperre die Banken deswegen aus, weil es sich selber die Schnittstelle für noch mehr Informationen über die Kunden sichern wolle. Berichte über eine mögliche Kooperation für eine eigene Kontolösung mit JP Morgan befeuerten diese Spekulationen weiter.

… mit Weile

Trotz einer solchen geschäftspolitischen Dringlichkeit sollten die Banken bei der Umsetzung von Conversational-Lösungen mit Bedacht vorgehen.

Hier kommen die Stärken agilen Vorgehens besonders zur Geltung: Schrittweise Erarbeitung von Lösungen, die frühzeitig Kundenreaktionen einholen helfen, um in mehreren Iterationen ein gutes und marktfähiges Produkt zu entwickeln. Für erfolgreiches agiles Vorgehen rund um CUIs scheinen neben den „üblichen Verdächtigen“ wie selbststeuernde Projektteams oder möglichst freie Hand durch die Organisation, drei Erfolgsfaktoren entscheidend – und zwar nicht nur bei Banking-Anwendungen:

  • Bei Zwischenprodukten fokussieren: Durch frühzeitige Releases akzeptabler Zwischenprodukte lassen sich die besten – weil realen – Kundenreaktionen ermitteln. Gerade bei Spracherkennung und virtuellen Assistenten ist die Fehlertoleranz erfahrungsgemäß aber gering. Lösungen, die den Kunden oft missverstehen, führen dazu, dass sich dieser schnell von der neuen Technik abwendet. Besser ist es daher, Zwischenprodukte zu entwickeln, die zwar nur einen sehr kleinen Teil des letztendlichen Leistungsspektrums anbieten, diesen aber mit hoher Erkennungsgenauigkeit und geringer zeitlicher Verzögerung („latency“).
  • Die digitalen Assistenten nicht sich selber überlassen: In der Anfangsphase sind die Conversational-Angebote noch wenig trainiert. Die Gefahr des Missverstehens oder fehlender Reaktionsmöglichkeiten ist daher noch besonders hoch. Hybride Lösungen, bei denen menschliche Supervisoren die Aussagen der Chat- und Sprachbots prüfen, können daher gerade zu Beginn des Einsatzes besonders lohnenswert sein.
  • Das Lernen von Anfang an mitbedenken: Damit die Bank und auch die digitalen Anwendungen wirklich mitlernen können, muss schon bei der Gestaltung der Anwendung daran gedacht werden, welche Informationen für das Lernen benötigt werden. Die notwendigen Reportings – etwa zu bevorzugten Nutzungszeiten, Abbruchquoten und -stellen im Prozess – sollten daher von Anfang an mitkonzipiert werden.

Berücksichtigen Banken diese Aspekte und integrieren Conversational-Angebote sinnstiftend in ihren Kanalmix, wird das Reden mit dem Computer auch beim Banking bald keine Science Fiction mehr sein. Genauso wenig, wie es das beim Taxibestellen der Fall ist. Höchstens die Kommunikation mit dem eigenen Raumschiff muss noch ein paar Jahre warten.