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18.11.2019 Agilität

Agilität um jeden Preis?

Spätestens seit die ING die agile Transformation prominent vorantreibt, prüfen auch andere Player in der Branche die Anwendung entsprechender Formate und Konzepte für ihre Organisation. Im Rahmen der erstmalig durchgeführten Konferenz „Agile Banking“ berichteten im Oktober mehr als 15 Experten von ihren Erfahrungen zur agilen Transformation in der Finanzdienstleistungsbranche. Unsere Kollegin Anna-Lena Kuhlmann ging in ihrem Vortrag „Organisationsstrukturen und Führung im Wandel – Agilität um jeden Preis?“ der Frage nach, wie Banken den für sie optimalen Agilitätsmix finden können.

Für viele Vertreter der Bankenbranche ist Agilität mittlerweile nicht mehr nur ein Trend, sondern eine Antwort auf die von der VUCA-Welt aufgeworfenen Fragen. Denn mit steigender Komplexität und zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit müssen auch Banken ihr Geschäftsmodell kritisch hinterfragen und die Modelle der Zusammenarbeit anpassen. Von agilen Methoden und Konzepten erhoffen sich die Verantwortlichen weniger Silodenken, eine stärkere Kundenorientierung und eine höhere Entscheidungs- und Umsetzungsgeschwindigkeit.

Grundsatzentscheidung zur agilen Transformation

Auch wenn der Umbau der ING zur agilen Organisation nicht „über Nacht“ vollzogen wurde, kann man doch mindestens von einem „Big Bang in drei Akten“ sprechen. In wenigen Monaten wurde das gesamte Institut in insgesamt drei Wellen organisatorisch, prozessual und auf persönlicher Ebene „agilisiert“. Alternative (und in unserer Erfahrung auch die präferierte) Variante für viele Institute ist jedoch der Weg „agil agiler werden“. Über agile Pilotprojekte kann die Organisation erste Erfahrungen mit neuen Methoden und Formaten der Zusammenarbeit sammeln. Gleichzeitig haben die Mitarbeiter und Führungskräfte Zeit, in ihre neuen Kompetenzen und Aufgabenfelder hineinzuwachsen. Um den nachhaltigen Erfolg dieser agilen Pilotprojekte sicherzustellen, muss unter dem Ansatz „agil agiler werden“ auch über die Organisationsstrukturen neu nachgedacht werden. Denn crossfunktionale, selbstorganisierte Teams, die in kurzen Zyklen Neues erarbeiten, passen nicht zur typischen Führungskarriere, jährlichen Budgetprozessen oder starren Zielsystemen.

Beispiele für agile Organisationsmodelle in funktionalen Strukturen

Nichts desto trotz finden sich viele Beispiele von agilen Strukturen innerhalb von funktionalen Strukturen. Ein Beispiel: Sogenannte Dealteams sind Aushängeschild von Banken insbesondere bei komplexeren Kundenanfragen, zum Beispiel im Wealth Management oder im Unternehmenskundengeschäft. Neben dem Kundenbetreuer bringen Produktspezialisten ihr Know-how ein, um ganzheitliche Lösungen im Sinne des Kunden zu entwickeln. Zusätzlich ergänzt häufig ein Mitarbeiter aus der Marktfolge das Team, um sicherzustellen, dass die erarbeiteten Lösungen auch in der Umsetzung bestehen können. Damit ist ein Dealteam ein interdisziplinäres Team, das eigenverantwortlich kundenorientierte Lösungen entwickelt, ergo ein „agiles Team“.

Ein zweites Beispiel: Mit dem Ziel, abteilungsübergreifende Kundenprozesse wirklich „End-to-End“ zu optimieren, müssen viele Organisationseinheiten an einem Strang ziehen: Neben den Vertriebseinheiten sind hierbei häufig die Back-Office-Einheiten oder das Vertriebsmanagement involviert. Aus den beteiligten Einheiten wird je Prozessgruppe eine Führungskraft bestimmt, die die Verantwortung für die Weiterentwicklung trägt. Die operative Arbeit an den Prozessen erfolgt durch ein crossfunktional besetztes Team. Unterstützung bekommen die verantwortlichen Teams durch einen Prozessorganisator. Dieser ist nicht fachverantwortlich, sichert aber zum Beispiel die systemseitige Schnittstellenfunktion. Durch die wechselseitige Verantwortung und die bereichsübergreifende Prozessarbeit können sich die Bereiche deutlich einfacher vernetzen und entwickeln ein einheitliches Verständnis von Kundenorientierung.

“One size fits all” funktioniert nicht

Ansätze agiler Strukturen finden sich häufig in Abteilungen, die Teil der strategischen Weiterentwicklung sind und Innovation als Aufgabe haben, zum Beispiel im Vertriebs- oder Produktmanagement. Mitarbeiter in diesen Teams sind bereits heute häufig im Projektgeschäft eingebunden und innerhalb der eigenen Organisation gut vernetzt. Darüber hinaus gibt es jedoch auch andere Teams in einer Bank. Das Aufgabenprofil vom Controlling oder der Revision wird einerseits vom Tagesgeschäft dominiert und andererseits von (aufsichts-)rechtlichen Vorschriften reglementiert. Zielsetzung dieser Teams ist nicht die ständige Innovation oder die strategische Weiterentwicklung, sondern eine gleichbleibend hohe Qualität bei maximaler Effizienz. Die Vertriebseinheiten haben wiederum ein anderes Aufgabenprofil: Ihre Aufgabe ist die Sicherstellung des Vertriebserfolgs als wirtschaftliche Grundlage des Instituts. Und allen Bemühungen zur Standardisierung zum Trotz sind hier Erfahrung und persönliche Sympathien nach wie vor Erfolgsgaranten.

Aufgrund der heterogenen Aufgabenprofile und Zielsetzungen der verschiedenen Einheiten in einer Bank scheint der Ansatz „One size fits all“ unpassend. Agile Methoden und Ansätze sollten nur dort eingesetzt werden, wo sie einen wirklichen Mehrwert stiften. Sicherlich lassen sich sowohl in der Marktfolge als auch im Controlling Anwendungsfälle für agile Formate finden, auch agile Routinen können Zusammenarbeit in diesen Teams fördern. Grundsätzlich sollten sich diese Teams aber eher an den Methoden des Lean Managements orientieren, um ihre grundsätzliche Zielrichtung zu erfüllen. Die Aufbau- und Ablauforganisation sollte das entsprechend reflektieren. Auf der anderen Seite sollten die Aufbau- und Ablauforganisationen von Teams, in denen aufgrund des Aufgabenprofils agile Methoden mehrwertig eingesetzt werden können, angepasst werden. Die nachfolgende Grafik illustriert diese Zusammenhänge.

Differenzierte Führungsrollen sind notwendig

Bei unterschiedlichen Modellen der Zusammenarbeit muss auch die Rolle der Führungskraft differenzierter betrachtet und in Abhängigkeit des gewählten Modells ausgestaltet werden. Während die hierarchische Führungskraft als Experte durch klare Vorgaben und eigenständige Entscheidungen das Team führt, befähigt die agile Führungskraft ihr Team, selbstständig Lösungen zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen. Es ist daher stärker als bislang die Verantwortung der agilen Führungskraft, Transparenz zu strategischen Rahmenbedingungen und Leitplanken zu schaffen, an denen sich das Team orientieren kann.

Verzahnte Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung als Erfolgsfaktor

Bei der Umsetzung von agilen Strukturen sollte daher der Führungskräfteentwicklung große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Bedingt durch die eindeutigen funktionalen Strukturen in einer Bank werden typischerweise hierarchische Führungskräfte gefördert und gefordert. In agilen Organisationsmodellen ist jedoch ein anderer Führungsstil gefragt. Gleichzeitig impliziert dies auch einen Auftrag an die Personalentwicklung – denn auch die Mitarbeiter in agilen Teams arbeiten mit neuen Modellen der Zusammenarbeit und müssen andere Kompetenzen einbringen. Damit die Transformation gut gelingen kann, muss daher die Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung verzahnt und im Einklang mit dem angestrebten Zielbild für Zusammenarbeit erfolgen.